Sonntag, 15. November 2020

"SAKURA Die Vollkommenen" von Kim Kestner

 



(© Bild Arena Verlag)
(Unbezahlte Werbung)

Prinz Haruto... Ein Sprichwort hier unten heißt: Du glaubst wohl noch an den Zuckerblütenprinzen. Es bedeutet so viel wie, dass man, ohne Nachzudenken, einfach alles glaubt. Da es von Yamamoto mehr Bilder gibt, als uns lieb ist, von seinem Sohn, dem Prinzen, aber noch nie jemand eins gesehen hat, glauben nur Kinder daran, dass es ihn wirklich gibt. Trotzdem feiern die Leute ihn. Denn jedes Jahr am Geburtstag des angeblichen Prinzen lässt uns der Kaiser gezuckerte Blüten von der Decke rieseln.
Keine Ahnung, wie es auf den anderen Ebenen ist, aber hier unten wird es zu einem Schlachtfeld. Zuckerblüten sind neben Pushs das wertvollste Tauschgut und die Hungernden trampeln dafür alles nieder. Oder töten sogar. Der Geburtstag des Prinzen ist der einzige Tag im Jahr, an dem wir nicht arbeiten müssen. Der einzige, an dem ich meinen Unterschlupf nicht verlasse. Als der Händler auf mich zustrauchelt, um mir den Kaiser unter die Nase zu halten, fauche ich, er könne ihn sich dahin stecken, wo es noch dunkler ist als hier unten. Der Kerl ist besoffen wie eine Fliege im Sake.


Juri lebt zusammen mit viel zu vielen anderen Menschen unter der Erde auf Ebene 1. Die sogenannte Höhle weit unter der Erde strotzt vor Hunger, Armut, Krankheit und Tod. Jeder Tag ist ein Kampf ums Überleben. All diese Menschen leben hier, da sie Nachfahren des Gottes Susanoo sind und für eben diesen für alle Ewigkeit büßen müssen, während die Nachfahren der Göttin Amaterasu direkt unter der Sonne leben und nie Hunger leider müssen. Doch eines Tages passiert das, was niemals jemand für Möglich gehalten hätte: es gibt eine Möglichkeit, aus der Höhle zu entkommen und unter der Sonne zu leben. Juri schafft es, sich als Mann verkleidet unter die Probanden zu schmuggeln, welche dafür in Frage kommen. Doch der Weg, der vor ihr liegt, ist hart und steinig. Ob Mann oder Frau, jeder der Auserwählten muss drei Proben bestehen um zu beweisen, dass er oder sie vollkommen ist und würdig ist, unter Amaterasus Nachfahren unter der Sonne zu leben. Juri sieht hierin ihre einzige Chance, weiterzuleben. Doch die Proben und Aufgaben, die sie bewältigen müssen, sind extrem gefährlich und hart. 


Meine Meinung:
Der Einstieg in die Geschichte hat mich zuerst etwas überfordert, da ich mitten ins Geschehen reingeworfen wurde. Aber schnell konnte ich mir ein Bild von dieser Welt machen, in der Juri leben muss. Schnell wurde mir klar, dass diese Geschichte beherrscht wird von einer gewissen strengen Hierarchie und Juri befindet sich ganz ganz unten. Sie gehört quasi zum Abschaum der Menschheit, der für die Gesellschaft kaum von Nutzen ist. Während des Lesens habe ich eine vollkommen neue, andere Welt kennengelernt. Die Geschichte spielt in unserer Welt aber viele hunderte von Jahren in der Zukunft. Eine Dystopie, also eine fiktionale, in der Zukunft spielende Erzählung. 
Schnell war ich gefesselt von dieser Welt, die so anders und so grausam ist. Juri kämpft jeden Tag um ihr Leben, gegen den Hunger, gegen Krankheiten und den Tod. Es wird schnell spannender und aufregender, als sich ihr eine Möglichkeit bietet um all dem zu entkommen. Ich habe das Buch nicht mehr weglegen können als es schließlich soweit kam, dass sie sich als Mann ausgegeben hat um aus dieser Hölle zu entfliehen. 
Die Autorin schafft es, auf unkomplizierte Weise eine vollkommen neue Welt zu erschaffen und den Leser total zu fesseln. Auch beeindruckend fand ich, dass Kim Kestner alles an die japanische Kultur angelehnt hat, was mich persönlich noch mehr angesprochen hat. 
Die Handlungen nehmen schnell Fahrt auf und es wird von Kapitel zu Kapitel spannender. Auch erfreulich ist, dass es absolut keine kitschige Liebesgeschichte gibt, die hier Fehl am Platz wäre. 
Alles in allem ist das Buch absolut spannend, prägnant und immer gut auf den Punkt gebracht ohne unnötige Schwafeleien. Bei den letzten Kapiteln befürchtete ich, dass die Autorin niemals ein zufriedenstellendes Ende auf so wenig Seiten bringen könnte, aber ich habe mich geirrt. Das Ende war zufriedenstellend und kam nicht zu plötzlich. Ich empfehle diese Buch auf jeden Fall weiter. 

Sonntag, 10. Mai 2020

"Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr" von Walter Moers

"In der Grotte war es still, doch wenn man genau hinhörte, vernahm man ein unterschwelliges Dröhnen und Rauschen wie  aus einer ans Ohr gepressten Muschel. Dylia lauschte andächtig. Dies war das grandiose Schweigen eines gewaltigen Erinnerungsraums, der Hall eines Mausoleums der wichtigen Dinge. Ihrer wichtigen Dinge!
Gepflegte und erwartungsfrohe Spannung lag in der Luft wie in einem Opernhaus kurz vor der Vorstellung.  Und bei aller Größe kam ihr dieser Raum weder beängstigend noch einschüchternd vor. Dylia fand ihn einfach nur schön und geschmackvoll, auch wenn die Innenarchitektur und Dekoration offensichtlich von einer Spinne stammten. Die tausendfachen Fäden des Netzes spannten sich vom weitgestreckten graugrünen Boden hinauf und schienen sich in einem Punkt der Decke, die sich irgendwo im Dunkel verlor, zu sammeln.
Das ganze Netzwerk wirkte dadurch wie ein monumentales Zirkuszelt aus lauter bunten und glitzernden Punkten. Oder wie ein märchenhafter Zauberberg aus farbigen Mineralien. Zigtausende, vielleicht sogar Millionen Splitter funkelten in einem Licht, das von überall und nirgens herzukommen schien. Wie von hunderten unsichtbaren Kerzen."





Die Königstochter, Prinzessin Dylia, kann nicht schlafen. Seit 18 Tagen hat sie kein Auge zugetan, dank ihrer Krankheit. Ihr Rekord lag bei 4 Wochen. Niemand in ganz Zamonien mag etwas gegen ihre Krankheit ausrichten zu können. Also macht sie Nacht für Nacht das Beste daraus. Um nicht dem Wahnsinn zu verfallen, denkt Dylia sich immer wieder neue Worte aus. Fantastische Worte, abstrakte Worte, kaum auszusprechende Worte. Doch eines Nachts scheint sie den Verstand verloren zu haben, als plötzlich ein Nachtmahr auf ihrer Brust sitzt und ihr das atmen erschwert. Solch eine Gestalt kann nur ihrem Verstand entsprungen sein, denkt sich die Prinzessin. Doch Havarius Opal, wie sich der Nachtmahr vorstellt, scheint real zu sein. So real wie Prinzessin Dylia, so real wie ihre Krankheit. Der Nachtmahr ist ihr erschienen, um sie um den Verstand zu bringen, ja sie sogar in den Wahnsinn zu treiben, offenbart er ihr.  Denn das ist sein Beruf. Opal bietet Dylia eine letzte Reise in ihr Hirn an, bevor er sie dem Wahnsinn verfallen lässt, wenn sie sich nicht sogar vorher schon aus dem Fenster in den Tod stürzen möchte. Dies sei schließlich die einfachste Methode und würde ihm eine Menge Arbeit ersparen. Früher oder später würde sie schon springen, das garantiert er. Doch der Nachtmahr kennt Dylia nicht, mit ihrem starken und schnellen Verstand, ihrem extremen Selbstbewusstsein und der Fähigkeit, quasi keine Angst zu versprüren. Um herauszufinden, wie sie diese Gestalt los wird, um Zeit zu gewinnen und aus großer Neugierde willigt Dylia ein und die beiden treten eine lange und gefährliche Reise in Dylias Gehirn an. Ziel der Reise ist das "dunkle Herz der Nacht". Solch eine Reise durch das Gehirn beinhaltet mehr Gefahren, als man meint. Doch der Nachtmahr hat nicht mit Dylias List gerechnet, ganz zu schweigen von seinen eigenen Gefühlen. Und so erleben die beiden das Abenteuer ihres Lebens.


Bild
Meine Meinung:
Gleich zu Beginn merkt man, hier liegt wieder ein typischer Moers vor. Er spielt mit der deutschen Sprache, verändert sie, erfindet neue Worte. Und das nicht zu wenig. Unernmüdlich tauchen neue Fantasieworte auf sowie bereits bekannte Worte die verdreht wurden. Die ersten Seiten lockten mit der Vorstellung der Prinzessin, ihrer Krankheit und ihren Methoden, damit umzugehen. Für mich wurde es leider schnell trocken und schleppend, mich durch so vielen neue oder umgestellte Worte durchzubeißen, die die Handlung nicht gerade vorantrieben. Teilweise waren es ermüdende Aufzählungen/ Nennungen der Worte, die ich irgendwann begann zu überfliegen. Mir schien das etwas zu viel des Guten zu sein. Trotzdem wartete ich gespannt darauf, wann der Nachtmahr endlich seinen Auftritt hatte und wie sich die Geschichte dadurch entwickeln würde. Ich muss zugeben, dass ich die Seiten bis zum Auftritt des Nachtmahrs irgendwann nicht mehr aufmerksam las. Silbenverdrehungen hier, Anagramme da, so sieht der Verstand der Prinzessin aus. Das lernte ich auf gut 50 Seiten, die meiner Ansicht nach nett und fantasievoll formuliert waren, aber sie hätten gerne kürzer sein können. Zugegeben, man konnte nun behaupten, den Verstand der Prinzessin sehr gut zu kennen. Doch unterhaltsam war das für mich leider nicht.
Dann aber endlich der Auftritt des Nachtmahrs. Das Lesen bis hier hin hatte sich nun ausgezahlt, denn jetzt begann es, spannend zu werden. Gebannt verfolgte ich die frechen, schlagfertigen Dialoge zwischen Nachtmahr und Prinzessin, war gespannt auf die Reise. Wann liest man schonmal etwas über eine Reise in ein Gehirn? Und so wie ich die Prinzessin bisher hatte kennenlernen dürfen war von vornherein klar, dass das keine gewöhnliche Reise würde. So viel Spannung, so viele fantastische, faszinierende Wesen und Gegenden, ich habe es verschlungen. Moers hat wieder seine ganze Fantasie aufgebracht und die seltsamsten Kreaturen erfunden. Keine Langeweile kam mehr bei mir auf während ihrer Reise. Statt auf eine Achterbahnfahrt mit viel Action sollte man sich beim Lesen jedoch auf einen nachdenklichen Spaziergang einstellen. So viele Farben, Wesen, Gedanken, Orte... Wie eine Traumreise, gemischt aus guten und schlechten Träumen. Die Gedankenwelt allein fesselt den Leser aber nicht, sondern die Konversationen und die Entwicklung der Beziehung der Prinzessin und des Nachtmahrs lassen Spannung entstehen. Zudem hat man immer im Hinterkopf, dass Dylia irgendwann dem Wahnsinn verfallen soll. Wie soll das geschehen? Und wann? Und wird sie es schaffen, dass es nicht soweit kommt? Wird sie den Nachtmahr wieder los ohne dafür ihr Leben lassen zu müssen? Was wird passieren? Das Ende war für mich nicht einmal zu erahnen. Es war unvorhersehbar aber doch etwas knapp und für mich nicht sehr zufriedenstellend. Allerdings wüsste ich auch nicht, wie man es hätte besser machen können.

Mittwoch, 7. Februar 2018

"Und du bist...?" von Samsara Kaiser

Er lässt meine Hand nicht mehr los. Er hält sie so fest, dass es mir schon fast weh tut. Fast wie ein kleiner Junge, der die Hand seiner Mutter nicht mehr loslassen will. Aus Angst alleine zu bleiben. Aus Angst verlassen zu werden. Er bringt mich auch an diesem Tag zurück zum Heim. Den ganzen Weg laufen wir händchenhaltend. Waren wir so etwas wie ein Paar? Ich weiß an diesem Punkt noch nicht mal mehr, ob ich wirklich so etwas wie ein Freund für ihn bin. Ich kenne aber meine Gefühle. Ich werde ihn damit fürs erste aber nicht überfordern. Ich spüre es. Es ist Angst, die er überwinden muss. Ich kann ihm dabei helfen. Und dann wird er erkennen, wie er wirklich fühlt. Bis dahin werde ich einen festen Platz in seinem Herzen haben. Und dann wird sich für mich endlich alles ändern. Ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell jemanden finden würde, dem ich mein Herz schenken kann. Wir beide sind genug. Ich brauche sonst niemanden mehr. Wir können eine Familie werden. Zwei Menschen, die sich lieben, werden eine Familie. Oder liege ich damit falsch? Ich habe meinen Platz gefunden. Mein Platz ist, wo auch immer du bist. Meinen Namen werde ich auch ändern. In Mira Choi. Zwei Menschen, die heiraten, haben denselben Familiennamen, auch das weiß ich. Kurz fühlt es sich so an, als ob es Wirklichkeit werden könnte. Mein Name, meine Identität, meine Familie.


Mit 15 Jahren begegnen sie sich das erste Mal, Mira und Min-Ho. Beide spüren auf Anhieb eine Verbundenheit zwischen sich, wie sie es zuvor noch nie erlebt hatten. Vorsichtig tasten sie sich aneinander, beide emotional zurückhaltend und mit geheimen, grausamen Vergangenheiten. Doch diese halten sie vor einander verborgen. Als Min-Ho eines Tages von seinen Adoptiveltern erfährt, wieso er tatsächlich bei ihnen gelandet ist und was sich in seiner Vergangenheit abgespielt hat, bricht er sofort auf und reist nach Korea, in sein Heimatland. Mira weiß von all dem nichts, weiß nur, dass Min-Ho plötzlich aus ihrem Leben verschwindet. Es bricht ihr das Herz endgültig. Während Min-Ho in Korea versucht, aufzudecken, was es mit seiner Vergangenheit, dem Tod seiner Eltern, seiner Adoption und dem Familienunternehmen auf sich hat, leidet Mira in Amerika große Qualen. Sie ist zwar bemüht, ein normales Leben zu führen, beginnt ein Studium, findet eine beste Freundin, lernt sogar einen jungen Mann kennen. Doch innerlich ist sie zerstört. Ohne Psychopharmaka ist es ihr unmöglich geworden, zu leben. Und erst recht ist es ihr seit Min-Hos Abreise unmöglich, wieder zu lieben. Beide werden älter, leben ihr Leben so gut es geht. Doch es ist ein täglicher Kampf, der die beiden immer weiter zerreißt. Doch viele Jahre später begegnen sich die beiden unverhofft wieder. Aber wieso kehrt Min-Ho nach Amerika zurück? Und was hat er mit der Firma zu schaffen, die Miras Ehemann gehört? Es ist kein Zufall, dass sich die beiden wieder begegnen. Dunkle Geheimnisse müssen aufgedeckt und Leben gerettet werden.


Meine Meinung zum Buch:
Ich hatte zu Beginn leichte Einstiegsschwierigkeiten. Das Buch beinhaltet sehr viele und sehr häufige Zeitsprünge und Wechsel zwischen mehreren Personen. Hauptsächlich natürlich zwischen Mira und Min-Ho. Doch erzählen sie beiden nicht einheitlich aus ihrer Sicht. Mal liest man von der Vergangenheits-Mira, dann von der Mira in der Gegenwart. Das gleiche Prinzip gilt auch für die Erzählung aus der Perspektive von Min-Ho. Mit der Zeit fiel es mir zum Glück leichter. Die Kapitel wurden von der Autorin natürlich immer dementsprechend mit Jahreszahlen gekennzeichnet, dennoch war ich immer leicht irritiert und musste mich sehr konzentrieren. Davon mal abgesehen kam man sehr schnell in die Geschichte rein. Schon von Beginn an war es recht spannend gehalten. Eigentlich haben sich bei  mir gleich von Anfang an im Hinterkopf Fragen angesammelt, die das Lesen noch aufregender machten! "Und du bist...?" war für mich ein Buch, das einfach ständig einen Spannungsbogen aufrecht erhielt und ich nicht aufhören wollte zu lesen, selbst wenn es schon halb 2 in der Nacht war. Es kamen einfach ständig neue Fragen auf, ich habe neue Thesen aufgestellt warum etwas wie sein könnte, wer schuld sein könnte, was tatsächlich passiert war.
Eine kleine Bemerkung am Rande: das Buch hätte vorher besser nochmal korrekturgelesen werden sollen. Es gab doch recht häufig Schreibfehler, fehlerhafte Zeichensetzung und manchmal schienen mir manche Formulierungen etwas überspitzt. Aber all dies hatte ich schnell ausgeblendet, da mich die Geschichte an sich wirklich gefesselt hat!
Also, das Buch verläuft zum Großteil in zwei Handlungssträngen, erzählt von Mira und Min-Ho. Man kann sich sehr schnell ein Bild von den beiden machen und eine Gewisse Sympathie für sie entwickeln. Durch die unterschiedlichen Perspektiven (und Zeiten) kam sehr viel mehr Spannung in die Handlung. Wobei Miras Perspektive für mich doch immer konfuser wurde, weniger nachzuvollziehen und mich innerlich doch sehr angespannt hat. Das ergibt am Ende aber alles einen Sinn, keine Sorge. Bei Min-Ho überschlugen sich die Ereignisse immer häufiger, so dass ich manches zweimal lesen musste, um zu verstehen, was nun genau geschehen war. Jedoch hat mich das nicht weiter gestört. Übrigens: wer denkt, es handele sich hierbei um einen reinen Liebesroman, der hat sich geirrt. Dieses Buch beinhaltet enorme Anteile an Thriller, Krimi, Drama und einer ordentlichen Prise Psychologie. Man wird immer wieder sehr überrascht, wer in Wahrheit Feind oder Freund ist.
Dies ist meiner Meinung nach kein Buch, das man mal zur Entspannung lesen kann. Ich persönlich war die ganze Zeit über sehr aufgeregt, neugierig und angespannt. Teilweise auch frustriert, weil mit Informationen verborgen blieben. Aber als ich das Buch beendet hatte, dachte ich mir einfach nur "Wow." Ich war geplättet, auf positive Art. Die Story an sich ist es einfach wert, das Buch zu lesen. Das Ende war ein sehr fieser Cliffhanger, aber zum Glück kommt schon demnächst der zweite Band raus. Ich bin schon enorm gespannt, wie es weitergeht. In "Und du bist...?" wird laut Autorin die Geschichte von Mira und Min-Ho sozusagen nur eingeleitet. Im zweiten Band wird es also richtig zur Sache gehen, hoffe ich. Und hoffentlich werden wir Leser dann endlich erfahren, was wir so dringend wissen wollen!

Samstag, 3. Februar 2018

"Der Wortschatz" von Elias Vorpahl

"Ich war noch nie so tief unten", sagte das Stundenglas. "Das ist der Bereich der toten Sprache."
"Tote Sprache?", fragte das Wort.
"Die Archaismen leben hier. Methusalemworte." Die Strömung ließ nach. Endlich spürte das Wort festen Grund unter sich. Es war stockfinster. "Was sind Methusalemworte?", fragte sie und hielt immer noch die Hand des Stundenglases fest umschlossen. "Die ältesten Worte, die es in unserer Welt gibt. Tausende von Jahren alt."
"Wir sollten uns hier nicht aufhalten. Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl", sagte das Wort. In diesem Moment erschien ein Lichtkegel in der Dunkelheit, und noch einer, und noch ein dritter. Zuerst blendete es dem Wort in den Augen, dann nahm die Welt um sie herum Konturen an. Sie sah riesige Schildkröten, die, soweit das Licht reichte, in der Tiefe schwebten. Sie trieben auf der Stelle, und bewegten sich kaum. Auch die Köpfe und Gliedmaßen, die hier und da aus dem dunklen Panzer herausragten, blieben unbewegt. Das Licht kam von Anglerfischen, die sich auf den Panzern der Schildkröten niedergelassen hatten. Einer der Fische befand sich nur ein kleines Stück vom Wort entfernt, denn auch Stundenglas und sie waren auf dem Rücken einer Schildkröte gelandet. Der Panzer unter ihnen bebte. Aus dem Inneren grollte eine Stimme:
"Ehnels Funzeln aus unvordenklichen Jahren. Heutigentags leuchten sie noch immer allerwegen. Die uralte Weil hätte das nicht gedacht."
"Was sagt sie?", fragte das Wort, das nur einen Bruchteil der Wörtchen verstand, die aus dem Panzer aufstiegen.


Das kleine Wort wird eines Tages plötzlich aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen und landet an einem ihm unbekannten Ort. Jedoch hat das Wort nun nicht nur sein Zuhause und seine Familie verloren, sondern auch seinen Namen und seinen Sinn. Mitten in dieser seltsamen, neuen Welt begibt es sich auf die Suche nach seiner Identität. Dabei lernt es viele neue Worte kennen, lernt, dass manche Worte erst dann vollständig sind, wenn sie ihren Partner gefunden haben. So begegnet das Wort zum Beispiel der Dichterin und dem Denker und lernt von Verrückt und Esel, dass zunächst jedes Wort seinen Artikel finden und sich damit verbinden muss. Doch zur gleichen Zeit wird das kleine Wort von zwei bedrohlichen Gestalten verfolgt. Was es mit ihnen wohl auf sich hat? Gejagt und suchend wandert das kleine Wort umher. Auf seinem langen Weg zu sich selbst erlebt es sowohl grauenvolle Dinge als auch wunderschöne. So erfährt es zum Beispiel, wie es sich anfühlt, von einem Menschen ausgesprochen zu werden oder gesungen zu werden. Es erlebt, welche Wirkungen Geschichten auf den Zuhörer haben können, wie man eine Geschichte erzählt und vieles mehr. Am Ende seiner Reise steht das Wort einem Mann gegenüber, der mehr ist, als er auf den ersten Blick zu sein scheint. Kann er dem Wort helfen, seinen Namen zurückzuerlangen?


Meine Meinung zum Buch:
Zunächst möchte ich gestehen, dass die erste Hälfte des Buches eher ein Durchquälen war, als ein entspanntes Lesen. Ich war verwirrt, was es mit der Hauptfigur, dem "Wort" auf sich hat. Ich konnte mir auch Anfangs überhaupt kein Bild von einzelnen Figuren machen. Sollte ich sie mir als Menschen vorstellen? Dann wiederum gab es das Wort "Esel", welches tatsächlich wie ein Esel aussah. Aber dann existiert eine Schildkröte, die aber nicht das Wort Schildkröte darstellt, sondern "Weil" heißt. Ich hoffe, meine Gedankengänge sind verständlich. Die zweite Hälfte gefiel mir dann langsam immer besser. Es fiel mir mittlerweile leichter, mir ein Bild von der Welt und den Figuren zu machen. Auch habe ich langsam begriffen, worum es in der Geschichte tatsächlich geht. Auf eine verblüffende Art bringt einen diese Geschichte dazu, über Worte nachzudenken, wie man es vorher noch nicht getan hat. Während des Lesens wird einem langsam klar, welche Bedeutung Worte wirklich haben. Dass man sie nicht ohne Sinn und Verstand verwenden soll. Langsam entdeckte ich auch, dass der Roman die Suche nach seinem Selbst behandelte, Selbstvertrauen zu entwickeln, Mut zu haben und über sich selbst hinauszuwachsen. Es steckt doch viel mehr in dieser besonderen Geschichte, als man beim ersten Lesen vermuten möchte. Ich musste, als ich das Buch beendet hatte, erst einmal ein paar Tage darüber nachdenken bis mir das alles bewusst wurde.
Nebenbei ist dieser Roman enorm fantasievoll! Zum Schluss musste ich sogar schmunzeln, als die Geschichte eine absolut unerwartete Wendung nahm. Ich war positiv überrascht über das Ende. Humorvoll und immer noch tiefgründig. In "Der Wortschatz" erwähnt der Autor nicht nur die Bedeutung der Worte. Er zeigt dem Leser zudem wunderbare Wortspiele auf, denkt um die Ecke und gibt Worten eine neue Bedeutung. Fazit: nach diesem Buch hat man eine ganz andere Sicht auf die Sprache. Es ist ganz sicher kein Buch für jeden, es erscheint mir doch etwas extravagant. Aber ich bereue es nicht, es gelesen zu haben und werde es sicher einmal wieder lesen.